Entwicklung


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Zögerliche Entwicklung von Autoreifen

Der so genannte Mumien-Reifen diente nun als rollbarer Untersatz der Fahrräder. Doch er war zunächst ein Sorgenkind. Da er fest mit dem Rad verbunden war, bereitete er jede Menge Arbeit: Jedes Mal, wenn er sich einen Platten zuzog – was seinerzeit recht häufig vorkam – musste man die Gummilagen mit Benzin lösen und mühselig abwickeln, bevor man an den Schlauch gelangte. War dieser nun geflickt, musste der Mechaniker den Reifen wieder auf die Felge wickeln und den Außenmantel aufkleben. William hatte eine Antwort auf diese Frage: Er nutzte den Luftdruck, um das verdickte Reifenende, die so genannte Wulst, in die zuvor umgebogene Felge zu drücken. Endlich konnte man Ersatzreifen herstellen.

Der Boom des Luftreifens

Es entwickelte sich ein Markt, auf dem jeder Bürger einzelne Reifen, insbesondere Ersatzreifen, kaufen konnte. Nun fing das Geschäft an zu boomen: Von 1890 bis 1895 hatte man den (Fahrrad)-Reifen praktisch bis zu seiner Vollendung entwickelt. Auch der Schnuller als Ventil hatte ausgedient: Auf dem Prinzip, das Charles Wood 1891 vorstellte, basieren noch unsere heutigen. Doch es gab noch immer zwei Probleme, derer sich viele Erfinder annahmen: Der rasche Druckverlust (Platten) und der Karkassenriss. Diesen sollte ein Stahlband verhindern, was sich als unsinnig erwies, denn es löste sich beim Rollen. Auch die Vorstellung einer selbstabdichtenden Innenschicht ließ sich nicht durchsetzen: Die Materialien härteten nach zu kurzer Zeit aus und verhinderten das Ausstopfen des Lochs. Das bislang benutzte Material zur Verstärkung des Reifens bestand aus gewebtem Leinen beziehungsweise Segeltuch, das der Baumwolle wich. Die indes scheuerte an den Überkreuzungspunkten der Fäden durch und löste Karkassenbruch aus. Die Lösung bestand von daher in Fäden, die nicht mehr gewebt, sondern in verschiedenen Ebenen jeweils in eine Gummilage eingebettet wurden. Eine zündende Idee von Welch: Er überkreuzte zwei gummierte Baumwollkordlagen, die die Lebensdauer deutlich verbesserten und einen geringeren Rollwiderstand aufwiesen. Für ihn war auch der Winkel des Baumwollkords zur besseren Kraftübertragung zwischen Reifen und Straße von Bedeutung. Dieser sollte tangential zum Felgenrand liegen. Somit war die Idee des Diagonalreifens geboren, die sich allerdings erst 20 Jahre später durchsetzte. Und ein weiteres Problem musste bewältigt werden: Ebenso wie Vollgummireifen besaßen pneumatische kein Profil auf der Rollfläche des Mantels – hinsichtlich des Durchrutschens auf den damals staubigen Pisten war das nicht weiter von Belang. Doch das seitliche Wegrutschen auf glattem Granit war ein Thema. Um dies zu verhindern, versah man die ersten Profile mit Längsrillen.

Die Entwicklung von Reifen für Autos

Die Entwicklung von Autoreifen ging zunächst nur zögerlich voran. Zwar hatten Carl Benz und Gottlieb Daimler bereits 1886 ihr erstes Automobil erprobt. Doch dieses fuhr noch eine ganze Weile auf Vollgummireifen. Erst nach und nach fand der luftbefüllte Reifen auch auf diesem Gebiet seine Anwendung. Dies nicht zuletzt deshalb, weil oberhalb der Geschwindigkeit von maximal 20 Stundenkilometern Autos auf Vollgummibereifung kaum mehr lenkbar waren und zudem derart vibrierten, dass die Karosse auseinander zu fallen drohte. Pneumatische Reifen aber rückten beiden Kinderkrankheiten zuleibe.

Die ersten, die damit experimentierten, waren die Gebrüder André und Edouard Michelin. Aufgrund des Erfolges beim Fahrradrennen von Paris-Brest, bei dem ihr Fahrer mit pneumatischen Reifen geschlagene acht Stunden vor dem Zweitplatzierten mit dessen Vollgummireifen durchs Ziel fuhr, montierten sie diese für Autos noch ungebräuchlichen, neumodischen Reifen an ihren selbst gebauten Wagen für das Auto-Rennen Paris-Bordeaux im Jahre 1895. Die Autohersteller ließen sich noch lange nicht für die Pneus erwärmen. Und so dauerte es über zehn Jahre, bis diese auf dem technologischen Stand der Fahrradreifen ankamen und die Gummireifen vollends verdrängten. Zudem waren sie wesentlich teurer. Da mochte dann diese Goodyear-Anzeige von 1902 nachgeholfen haben, um ihnen zum Durchbruch zu verhelfen: „The King's cars are on solid tires and what is good for him is good for anyone”.

Eine nennenswerte Weiterentwicklung aber fand nicht statt. Bis fünf Jahre vor dem Ersten Weltkrieg: Die Preise für Naturkautschuk waren exorbitant gestiegen, und man dachte über die Herstellung von synthetischem im eigenen Lande nach. Bayer lieferte 1910 den ersten Methylkautschuk, aus dem man versuchsweise Reifen baute – aber ebenso auch Batteriekästen für U-Boote. Aufgrund der Seeblockade im Ersten Weltkrieg und der daraus folgenden Naturgummiknappheit war man auf Eigenproduktion und neue Materialien angewiesen. Allerdings hatte dieser Methylkautschuk gravierende Nachteile: Er brauchte viele Monate bis zur Polymerisation. Zudem riss er viel zu leicht, da er lediglich bei höheren Temperaturen elastisch war. Und er alterte darüber hinaus viel zu rasch. Um dem vorzubeugen, setzte die Diamond Rubber Factory in Akron Beschleuniger ein – doch fatalerweise handelte es sich hierbei um das hochgiftige Anilin. Das allerdings ersetzte man später durch weniger schädliche Verbindungen wie Carbamate und Thiazole.


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Der Reifen als Stoßdämpfer

Der Vollgummireifen, der zwar keinen Platten bekommen konnte, billiger war, dafür aber einen höheren Rollwiderstand aufwies und einen kleineren Lenkwinkel erzeugte, sich zudem extrem erhitzen konnte bei höheren Geschwindigkeiten, verschwand ab 1919 zugunsten des Luftreifens nun auch endlich bei den LKW. Bis dahin war er Standard gewesen. Der Hauptgrund für die Einführung des Luftreifens aber war seine Funktion als „Stoßdämpfer“. Hinzu kam das Argument der besseren Lenkbarkeit bei höheren Geschwindigkeiten – und seine Belastbarkeit. Man wurde mobil und verlagerte den Gütertransport zunehmend von den Gleisen auf die Straße. Da Autoreifen nunmehr Niederdruckreifen waren mit lediglich 2 bis 2,4 Bar im Vergleich zur Jahrhundertwende, da der Druck zwischen 6 und 7 Bar betrug, musste man der größeren Last durch eine Erhöhung des Querschnitts des Reifens Rechnung tragen. Dadurch nahm die Bodenkontaktfläche zu. Auch stellte man vom Kreuzgewebe auf Kordgewebe um, was zwar mit größerer Karkassenhaltbarkeit einherging, jedoch auch mehr Dämpfung bedeutete. Dem begegneten die Automobilhersteller mit besseren Stoßdämpfern, und das Problem war somit gelöst.

Betrachten wir noch einmal die Mischung der Reifen, die bis etwa 1910 aus Naturkautschuk, Schwefel sowie Zinkoxid, Kreide oder ähnlichen Zusatzstoffen bestand, was zu einer weißlichen bis gelben Färbung der Reifen geführt hatte. In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts mischte man zunehmend Ruß, erworben durch das Flammrußverfahren, bei. Dadurch verringerte sich der Abrieb um das Zehnfache, wenngleich sich die Mischungen deutlich erhitzten. Das stellte die Konstrukteure vor neue Herausvorderungen, und man sah die Notwendigkeit ein, Aspekten wie Hitzebeständigkeit, Profilgestaltung und Hochgeschwindigkeitsprüfungen Bedeutung beizumessen. Und man begann allmählich damit, luftgefüllte Reifen auch für die Agrar- und Bauwirtschaft zu entwickeln. Doch zu weiteren Innovationen kam es bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht. Erst während dessen befasste man sich erneut mit der Herstellung von Synthetik-Kautschuk in Deutschland. Ebenso in den USA.

Entwicklungen vor und während des Zweiten Weltkrieges

Auch die Materialien überdachten die Reifenhersteller neu: Statt Baumwolle wurde bereits 1938 mit Kunstseide (Rayon) und Nylon experimentiert, um die Stoßfestigkeit von insbesondere LKW-Reifen zu verbessern. Im Kriege jedoch mit seinen Nachschubschwierigkeiten war man gezwungen, die einzelnen gummierten Kordlagen dünner zu walzen, um so den wertvollen Kautschuk zu sparen. Anders als Baumwolle jedoch, die sich aufgrund ihrer haarigen Oberfläche zwecks besserer Haftung in den Kautschuk verhakt, weist Rayon dank seiner ebenen Struktur weniger gute Eigenschaften auf. Von daher musste man die Kordoberfläche zuvor mit einer Mischung aus NR-Latex, Formaldehyd und Harzen beschichten.

Nylon hingegen fand seinen ersten Einsatz 1942 in Flugzeugreifen der US-Airforce: Mit ihm wurden die Reifen wesentlich leichter und dünner bei gleichzeitig gesteigerter Stoßfestigkeit. Aufgrund dieser ersetzte Nylon das zuvor verwendete Rayon auch in Erdbewegungsreifen. Doch erst nach Kriegsende wartete die Reifenindustrie mit bahnbrechenden Innovationen auf: Der Vorbeugung beziehungsweise radikalen Reduzierung des großen Problems „Abrieb“. Dieser tritt durch die Geschwindigkeitsdifferenz zur Straße ein, um Brems- wie Antriebskräfte zu übertragen, Seitenkraft aufzubauen, um das Fahrzeug um die Kurve drücken zu können. Michelin entwickelte einen Reifen, der die gleichen Seitenkräfte bei kleinerem Schräglaufwinkel erzeugte – und somit einen geringeren Abrieb. Im Juni 1946 reichte Michelin seine Entwicklung beim Patentamt ein.


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Ein völlig neues Fahrgefühl

Seit 1937 experimentierte Michelin mit der Verbindung von Stahl und Gummi und hatte Stahlkordgewebe in der Karkasse von zunächst (diagonal) LKW-Reifen eingesetzt. Obwohl dieser neue Reifentypus eine doppelt so lange Lebensdauer besaß, waren die Autofahrer skeptisch. Kein Wunder: Das Fahrverhalten eines Radialreifens mit unmittelbarer Reaktion auf kleinste Lenkeinschläge war zunächst ungewohnt, da das Wagenlenksystem noch nicht angepasst war. Dennoch vermittelte der Reifen bald ein völlig neues Fahrgefühl, ein Gefühl der spürbaren Kontrolle über den Wagen, ein Gefühl der Sicherheit und Beherrschbarkeit auch bei sehr hohen Geschwindigkeiten. Solcherart Übermut aber konnte schon mal ohne jegliche Vorwarnung mit dem Nachteil des Radialreifens konfrontieren – dem Ausbrechen des Wagens beim Überschreiten des Maximums der Seitenkräfte. Erst als Wagenlenksystem und Aufhängung dem Reifen angepasst waren, hatte der Radialreifen seinen Durchbruch auf dem Markt. Hier wird die Abhängigkeit und die Wechselwirkung hinsichtlich der Entwicklung von Reifen und Automobil deutlich.

Die Industrie begann mit immer mehr Innovationen zu punkten: Der schlauchlose Reifen, lang erträumtes Ziel, war nun endlich entwickelt und wurde Standard für PKW. Man verfeinerte die Zutaten Synthesekautschuk, Füllstoffe und Zuschläge, reicherte deren Auswahl um weitere Entwicklungsfelder an. So führte Goodyear 1962 Polyester als Verstärkermaterial ein. Und glasfaserverstärkte Reifen kamen auf den Markt, ohne ihn indes erobern zu können. Die 70er Jahre sahen Vollstahlgürtelreifen für LKW vor, und die Ölkrise versetze Autofahrer wie Fabrikanten, Händler wie Produzenten in hellste Aufregung. Man begann, Rohstoffe nunmehr unter verändertem Blickwinkel zu betrachten, sich über deren Verschwendung zu sorgen. All dies erforderte die Suche nach neuen Produktionsmitteln, um das kostbare Gut zu sparen. Ach, und der Gürtelreifen avancierte zum Maß aller Fahrzeuge: Ob PKW, LKW, Agrar- und Erdbewegungsmaschine oder Flugzeug. Der Gürtelreifen musste sein.

Innovationen der 80er und 90er Jahre sowie Zukunftsaussichten

Niederquerschnittreifen lösten die Probleme mit Aquaplaning, Rollwiderstand wie die Verringerung von Reifenlärm wurden zum Thema und hielten Einzug in staatliche Regularien. Eine immer strenger werdende Qualitätskontrolle setzte ein, ebenso die Konkurrenz großer Konzerne zu kleineren, beschaulichen Reifenfirmen. Weltweit wächst zwar die Zahl von Gesetzesentwürfen zu Sicherheit und Schonung der Umwelt, und das Wort „Klimaschutz" ist in aller Munde. Ein Lippenbekenntnis in Anbetracht der ausufernden Globalisierung? Für die fernere Zukunft kann man nur spekulieren: Löst eine gefederte Felge mit Gummibelag den Luftreifen ab? Wird ein selbstvulkanisierender Kautschuk entwickelt werden? Auf ein robustes wie elastisches Material aber, mit bester Untergrundhaftung und optimierbar auf die verschiedensten Ansprüche und Einsatzgebiete, wird man nie verzichten können.