Geschichte


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Am Anfang war… das Rad

Rund 5000 Jahre ist es her, da die Sumerer das Rad erfanden, dessen erste Darstellungen um 2600 v.Chr. datieren. Umso mehr muss es verwundern, dass diese eisenbeschlagenen Holzscheiben, die das Transportieren und die Fortbewegung so ungemein erleichterten, so lange im Dämmerschlaf der Geschichte verharrten: Amerika etwa war es bis zur Invasion Christopher Columbus‘ Ende des 15. Jahrhunderts völlig unbekannt. Dabei zählt die Erfindung des Rades zu einer der wichtigsten und klügsten Erfindungen des Menschen, die er je gemacht hat. Klug allein aus dem Grund, da es in der Natur keinerlei Vorbild dafür gab und gibt – mit Ausnahme der Sonne und des Vollmondes. Die Konstruktion des Rades beruht einzig und allein auf der logischen Denkfähigkeit und dem Erfindergeist des Menschen. Denn es setzte Kenntnisse in Reibung, Schmierung und Stabilität voraus. Das Rad ist die geniale Konstruktion zur Verringerung der Reibung. Es vermindert jene Kraft, die sich der Bewegung entgegensetzt. Mit Fug und Recht kann man behaupten, die Erfindung des Rades ist der Ursprung jeder mechanischen Technik, die die Menschen fernerhin konstruiert haben.

Doch was genau ist ein Rad? Der Brockhaus beschreibt es als einen „Rollkörper, dessen äußerer runder Kranz (Radkranz, Felge) durch Speichen oder eine Scheibe mit der Nabe verbunden ist; durch diese ist das Rad fest oder drehbar mit der Achse verbunden“. Allerdings darf man bei den Vorteilen, die diese neue Erfindung seinerzeit für Karren und Kutsche mit sich brachte, keineswegs die erheblichen Nachteile aus den Augen verlieren: Straßen im heutigen Sinne gab es nicht. Holprige Wege füllten sich bei Regen allzu rasch mit Schlamm, was ein Vorwärtskommen erschwerte wenn nicht gar unmöglich machte. Und bei den durch die Räder tief ins Erdreich gebohrten Rinnen zerbrach so manch eines. Erst die Römer bauten staatenverbindende Handels- und Kriegsrouten zur schnelleren Ausdehnung ihrer Hegemonie, die indes mit Kopfsteinpflaster befestigt waren. Und das gemeine Rad, jeglicher Dämpfung von Straßenunebenheiten abhold, war alles andere als dazu angetan, den Reisenden lustvolle Ausfahrten zu bescheren. Vielmehr wurden sie ordentlich dauergerüttelt, und auch blaue Flecken am Ende der ermüdenden Reise blieben nicht aus. Die Fortbewegungsgeschwindigkeit war begrenzt, die Fahrzeuglenkung desgleichen.


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Vom Rad zum Fahrrad

Dass der Erfindung des Reifens die des Fahrrades vorausging, ist sicherlich bekannt. Dass es ausgerechnet ein Kinderfahrrad war, wahrscheinlich weniger. Doch relativ unbekannt dürfte sein, dass der Impuls zur Entwicklung des Fahrrades erst einer Katastrophe geschuldet war: Die Rede ist vom Ausbruch des Vulkans Tambora auf der Insel Sumbawa, östlich von Java gelegen. Im April 1815 warf er seine Niederschläge aus vulkanischer Asche bis Borneo, Sulawesi und Java bis hin zu den Molukken. 92 000 Menschen sollen ihm zum Opfer gefallen sein. Doch noch viel weitreichender waren die Folgen: Die durch die Eruption herausgeschleuderte Asche löste eine globale Klimaveränderung aus, der 1816 das „Jahr ohne Sommer“ folgte. Mit ihm gingen in vielen Gebieten der nördlichen Hemisphäre Missernten, die größte Hungersnot des 19. Jahrhunderts und der Tod unzähliger Nutztiere einher.

Es fehlte Hafer, die Pferde als Zugtiere starben, die Fortbewegung – außer per pedes – war nahezu auf dem Nullpunkt. So entwickelte der Mannheimer Karl Freiherr von Drais das einspurige und hölzerne Zweiradprinzip, von ihm selbst „Laufmaschine“ genannt. Das erste mechanische Individualverkehrsmittel, das mit den Beinen angestoßen wurde, ging als „Draisine“ in die Geschichte ein. (Das Pedal-Fahrrad, so wie wir es kennen, wurde erst 1879 erfunden.) Und schnellere und unabhängigere Fortbewegungsmittel rückten erst mit der nahezu zeitgleichen Erfindung von Automobil und luftgefedertem Reifen in greifbare Nähe. Dem leistete auch die Entdeckung von Makadam Vorschub – die geteerte Straßenoberfläche. Und Robert William Thomson. Erst 22 Jahre jung, arbeitete der gebürtige Schotte als unabhängiger Eisenbahn-Ingenieur in London. Obwohl der Technik auf der Schiene verschrieben, dachte er auch über Anwendungen auf der Straße nach. Bewandert in der Technologie seiner Zeit, stellte er nur sieben Jahre nach der Erfindung der Vulkanisation durch Charles Goodyear im Jahre 1839 in Amerika mit Hilfe der Schwefelvernetzung gummiertes Leinen her.

Sein erster „Luftreifen“ bestand aus einem hohlen Schlauch aus wasserdichtem und mit Luft aufgeblasenem Kautschuk, wobei der Reifen bei jeder Umdrehung ein Luftkissen bildete zum Untergrund, auf dem er rollte. Im Innenbereich bestand er aus mehreren Lagen Leinen und einer Gummilösung, umgeben von einem äußeren Ledermantel. Im Londoner Regent-Park maß er die benötigte Kraft, um eine Kutsche auf zwei verschiedenen Oberflächen vorwärts zu bewegen. Und er hatte Erfolg. Doch trotz der Anmeldung seiner Entwicklung zum Patent am 10. Juni 1846 blieben ihm der Durchbruch und die Anerkennung verwehrt. Ein Blick in den Originaltext seiner Schrift ist dennoch durchaus lohnenswert: „The nature of my said invention consists in the application of elastic bearings round the tires of the wheels of carriages, for the purpose of lessening the power required to draw the carriages, rendering their motion easier and diminishing the noise they make when in motion.“ Auch die Präsentation seiner Idee vor dem in Edinburgh weilenden brasilianischen Kaiser konnte keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Er fand keine Abnehmer für seine Idee, und diese geriet alsbald in Vergessenheit.


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 Ein Schotte erfindet das Rad neu

15 Jahre später erfand ein anderer Schotte das Rad erneut – ein Name, der noch heute in aller Munde ist, wenn man an Reifen denkt: Dunlop – John Boyd Dunlop. Und der hatte die Nase gestrichen voll – vom Krach seines zehnjährigen Sohnes nämlich, den der mit seinem Dreirad veranstaltete: Die mit Eisen beschlagenen Holzfelgen verursachten einen Höllenlärm, dem der Tierarzt – zu seinem eigenen Wohle – Abhilfe verschaffen musste. Womit die eigentliche Erfolgsgeschichte beginnt.

 

Heute nämlich verbindet jeder mit dem Wort „Reifen“ spontan den Luftreifen, der sich der ausgezeichneten Elastizität der Luft bedient, für geringen Rollwiderstand, gute Haftung, bequemes Fahren und geringen Geräuschpegel steht. Und die überall auf der Welt gratis ist. Für Dunlop jedoch, 1840 in Dreghorn geboren, war dies keine Selbstverständlichkeit. Da er sich ins Privatleben zurückgezogen und nunmehr Zeit für seinen Filius hatte, widmete er sich ganz dem Vorankommen von Johnnie auf seinem Dreirad.

Ein Dreirad für Johnnie

Dunlop bastelte in den aus einer dünnen Gummiplatte gefertigten und mit Leinen überzogenen Schlauch ein Ventil – aus einem Schnuller – und zog ihn auf eine Felge. Zum Aufpumpen diente ihm eine simple Fußballpumpe. Um einen Vergleich anzustellen, ließ er das kleine Vorderrad des Dreirades und das luftgefederte über den Hof rollen. Bald schon kippte das Vorderrad um, während die Holzscheibe mit dem Pneu hingegen weitaus ausdauernder war. Nun nahm sich Dunlop auch die Hinterräder vor: Er bog Felgen aus Rüsterholz und zog den Schlauch auf. Für die Abdeckung der Reifen nahm er Segeltuch. Am 28. Februar 1888 war es soweit. Ein Tag, den Vater und Sohn nie vergessen sollten. Bis in die späte Nacht hinein – unter Wahrung jedweder Heimlichkeit – testete Johnnie sein Gefährt, mit dem er bereits am nächsten Tag all seinen Klassenkameraden überlegen davonfuhr. Endlich hatte Vater Dunlop seine Ruhe – und Sohn Johnnie gewann nunmehr fast jedes Dreirad-Rennen auf den Straßen Belfasts. Denn der neue Reifen war den Metallfelgen und auch den Vollgummireifen bei weitem überlegen – vom komfortableren Fahren mal ganz zu schweigen.

Berechtigt war der Stolz – sowohl vom Vater als auch vom Sohne. Denn mit diesem ersten Satz Luftreifen legte er mehr als 60 Meilen ohne Panne zurück. Johnnie war begeistert, und Papa Dunlop beschloss nun, das ganze (Drei)Rad mit richtigen Luftreifen aufzurüsten. Der Luftreifen war erfunden. Es war die Art und Weise, wie die gummibeschichteten Segeltuchlagen um Felge und Schlauch gewickelt wurden, die dem Reifen seinen Namen gaben: Mumien-Reifen.

Der Papa baute weitere Prototypen seines Pneumatik. Mit Schläuchen wurde er von einem Fabrikanten versorgt. Er brauchte sie nur noch zuzuschneiden und zusammenzukleben. Am 23. Juli 1888 bereits meldete er „seine“ Erfindung zum Patent an, das ihm unter der Nummer 10.607 am 31. Oktober erteilt und am 7. Dezember selbigen Jahres wirksam wurde. Dabei war völlig in Vergessenheit geraten, dass ja bereits 1846 Robert William Thomson einen pneumatischen Reifen erfunden, entwickelt und zum Patent angemeldet sowie Kutschen damit ausgerüstet hatte. Dieser aber hatte den Belastungen nicht standgehalten und sich auch im Zuge aufkommender stabiler Vollgummibereifung nicht durchsetzen können. Diesmal aber gab es einen großen Markt für die Erfindung.

Jahre später wurde Dunlop mit Thomsons Patent konfrontiert. Er wies Vorwürfe zurück, indem er schrieb: „Ich sage nicht, ich sei der erste Erfinder des Luftreifens. Damals glaubte ich es zu sein – und zwar aus dem einfachen Grunde, weil so eine einfache Sache nicht in Gebrauch war. Zum Glück für die gesamte Radwelt habe ich Thomsons Luftreifen zurückerfunden". Und bald darauf stattete man sämtliche Fahrräder mit eben diesen aus.